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Wenn der Kampf für Rechte zum Verbrechen wird: Wofür Jaraschuk vor Gericht stand

  • Autorenbild: Salidarnast Belarus
    Salidarnast Belarus
  • 28. März
  • 5 Min. Lesezeit

In diesen Tagen findet in Genf die Sitzung des Verwaltungsrates der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) statt. Die Teilnehmer*innen werden dort ein Schild mit dem Namen von Aljaksandr Jaraschuk sehen; der ist Vorsitzender des Belarussischen Kongresses demokratischer Gewerkschaften (BKDP), Mitglied des Verwaltungsrates der ILO und derzeit politischer Gefangener in Belarus.


Aljaksandr Jaraschuk
Aljaksandr Jaraschuk

Die Internationale Arbeitsorganisation will damit die Weltgemeinschaft auf die Repressionen hinweisen, die gegen belarussische Gewerkschaftsführer*innen und -aktivist*innen erfolgen. Aktuell sitzen 29 Gewerkschafter*innen hinter Gittern.

Salidarnasz setzt den Zyklus von Artikeln fort, die von einigen dieser politischen Gefangenen berichten.


Aljaksandr Jaraschuk wurde im April 2022 verhaftet, nach den Paragrafen 342 und 361 des Strafgesetzbuches angeklagt („Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die grob die öffentliche Ordnung verletzen, oder die Beteiligung daran“ bzw. „Aufrufe zu Handlungen, die auf einen Schaden für die nationale Sicherheit der Republik Belarus abzielen“). Er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.


Im Juni 2024 wurde Jaraschuk, der sich im Gefängnis befand, wieder in den Verwaltungsrat der ILO gewählt. Dabei trugen einige Delegierte T-Shirts mit seinem Konterfei und der Parole „Lasst die Gewerkschaftsaktivist*innen frei!“ Das Gleiche forderte die Internationale Arbeitsorganisation. Die Situation ist jedoch bis heute unverändert.


„Er wurde mehrfach gewarnt, dass die unabhängigen Gewerkschaften früher oder später das nächste Ziel der Repressionen durch die Regierung werden, und dass Aktivist*innen und die gesamte Führung festgenommen werden“, sagte uns ein*e Kolleg*in, der/die anonym bleiben will. „Aljaksandr blieb jedoch standhaft und hielt an seinen Prinzipien fest. Er wollte nicht weglaufen, sich nicht verstecken. Er konnte die Leute nicht allein lassen, weil er an der Spitze der Organisation stand. Er hätte es nicht ertragen können, sicher und bequem zu leben, während seine Mitstreiter*innen schon inhaftiert sind oder verhaftet werden können.

Jaraschuks Stellvertreter Sjarhej Antussewitsch, wurde am gleichen Tag festgenommen.

„Aljaksandr und ich waren zu diesem Zeitpunkt im Büro. Dann wurden wir getrennt und ins Untersuchungsgefängnis des KGB gebracht“, berichtet Antussewitsch gegenüber Salidarnasz. „Zehn Tage später sahen wir uns im awtosak [im Häftlingstransporter] wieder, als wir in die „Waladarka“, das Untersuchungsgefängnis Nr. 1 gebracht wurden. Da konnten wir nur ein paar kurze Worte wechseln, weil die Wachen die ganze Zeit aufpassten, dass wir uns nicht unterhielten oder irgendwelche Informationen austauschen.“


„Ich sah, dass er ruhig und ausgeglichen war, obwohl ihm klar war, dass seine Freiheitsstrafe länger war als meine, zum Beispiel. Leute, die mit Aljaksandr in einer Zelle saßen, erzählten, dass er selbst unter diesen Bedingungen einen aktiven Lebenswandel hatte: Er machte jeden Tag Fitnessübungen und hielt sich in Form. Ich hoffe, das macht er jetzt immer noch.“


Im Sommer und Herbst 2020 gehörten die unabhängigen Gewerkschaften zu den wichtigsten Akteuren der Protestbewegung. Aljaksandr Jaraschuk rief die Arbeiter*innen damals dazu auf, in den Unternehmen Streiks zu organisieren und sich zu einem Nationalen Streikkomitee zusammenzuschließen.


Allerdings führten die Repressionen dazu, dass alle unabhängigen Gewerkschaften aufgelöst und viele Aktivist*innen verhaftet wurden. Im April 2023 setzte das Innenministerium Jaraschuk, der bereits politischer Gefangener war, auf die „Extremisten-Liste“.


Sjarhej Antussewitsch sagt, dass Aljaksandr Jaraschuk einen schwierigen Charakter habe, allerdings könnten Führungspersonen nicht einfach gestrickt sein:


„In den zehn Jahren gemeinsamer Arbeit hatten wir nicht nur keine Konflikte, sondern auch keine ernsteren Meinungsverschiedenheiten. Ich habe sehr viel von ihm gelernt; und er hat, wie es aussieht, auch etwas von mir gelernt. Wir haben zusammen gelernt und versucht, so zu arbeiten, dass wir in jener schwierigen Situation, die sich im Land ergeben hatte, das maximal mögliche zu erreichen. Seinerzeit ignorierte die Regierung jedoch sämtliche Forderungen und Vorschläge der unabhängigen Gewerkschaften.“


Aljaksandr Jaraschuk ist erst in relativ fortgeschrittenem Alter zur Gewerkschaft gekommen und verstand, wie wichtig für uns eine Integration in die internationale Gewerkschaftsbewegung ist. Zum Beispiel sind wir unter seiner Führung dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) beigetreten.


Ein*e Kolleg*in von Jaraschuk, die wegen der aktuellen Bedingungen lieber anonym bleiben möchte, erzählt, dass Briefe der wichtigste Kommunikationskanal zu den politischen Gefangenen seien, die in Mahiljou einsitzen: „Natürlich kommen nicht alle an, und er kann längst nicht über alles schreiben. Im Gefängnis herrscht strenge Zensur. Er kann praktisch nur über neutrale Sachen und seinen Gesundheitszustand schreiben. Es ist klar, dass jemand mit 73 gewisse Krankheiten hat, aber Aljaksandr Jaraschuk versucht trotzdem, seine innere Stärke zu bewahren, den Kopf nicht hängen zu lassen. Auf jeden Fall beklagt er sich nicht; vielleicht will er auch einfach nicht über gesundheitliche Probleme reden will.


Vor anderthalb Jahren wurde er als ‚böswilliger Verletzer der Anstaltsordnung‘ aus der Strafkolonie ins Gefängnis verlegt, wo die Bedingungen härter sind. Wenn in der Kolonie noch Päckchen und Besuche zugelassen wurden, war jetzt alles anders: Außer Briefen war pro Monat nur ein Anruf von rund zehn Minuten möglich.“

Sjarhej Antussewitsch meint, dass Aljaksandr Jaraschuk zu irgendeiner kleinen Verfehlung provoziert worden sein könnte, damit er als böswilliger Verletzer der Anstaltsordnung eingestuft und schneller als üblich aus der Kolonie in Schklou in das Gefängnis in Mahiljou verlegt wird:


„Die politischen Gefangenen stehen unter besonderer Beobachtung, und ich habe keinen Zweifel, dass das alles mit Absicht geschah. Ich habe das in der Haft selbst erlebt. Da kann einer zu dir kommen, sich aufrichtig dafür interessieren, wie es dir geht; und will ein Gespräch beginnen. Und dann stellt sich heraus, dass es eine ganz banale Provokation ist, mit dem Ziel, aus dir irgendwelche Informationen herauszuholen, die dann „umzudrehen“, damit zur Anstaltsleitung zu laufen und dich einfach zu denunzieren.


Nach den massenhaften Repressionen und den Verhaftungen von Gewerkschaftsaktivist*innen und -anführer*innen wurde der belarussischen Regierung vorgeschlagen, eine Mission der Internationalen Arbeitsorganisation in Minsk zu empfangen. Dieser sollte ein Besuch in den Gefängnissen erlaubt werden, um eine Abschätzung des Zustands der politischen Gefangenen zu ermöglichen. Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt, wie auch die Ernennung eines Sonderberichterstatters zum Monitoring der Situation in Belarus.


Daher ist es nicht möglich herauszufinden, wie sich die politischen Gefangenen fühlen, wie die Bedingungen für sie sind. Wir wissen nur, dass bei vielen der Gesundheitszustand Anlass zur Sorge ist. Während der letzten Phase der Begnadigungen sind nur zwei Gewerkschafter*innen aus humanitären Gründen freigekommen: Wassyl Beresnou, der schwer erkrankt ist, und Aljaksi Aljaksejtschik, der über 20 Jahre im Republiks-Zentrum für angewandte Forschung der Kinderonkologie und Kinderhämatologie als Arzt für Transplantationsmedizin gearbeitet hatte. Er galt als einer der besten Fachärzte des Zentrums, der viele Knochenmarkstransplantationen vorgenommen hat.


Am 19. April findet im Rahmen der Kampagne „Gewerkschaftsaktivismus ist kein Extremismus!“ ein Aktionstag für Gewerkschaftsrechte und Demokratie in Belarus statt, auf dem die Freilassung belarussischer Gewerkschaftsführer*innen gefordert wird, die sich derzeit in Haft befinden.


Diese Kampagne wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Lage der Arbeiter*innenrechte in Belarus zu lenken. Im Land herrschen Polizeiterror, Folter und Hetze gegen jene, die mit dem diktatorischen Regime von Lukaschenka nicht einverstanden sind, auch gegen Gewerkschaftsaktivist*innen.


Die Kampagne fordert die Freilassung der Gewerkschaftler*innen und politischen Gefangenen, ein Ende der Repressionen gegen Gewerkschaftsaktivist*innen und eine Wiederherstellung der Garantien für eine legale Tätigkeit von unabhängigen Gewerkschaften.


Die Kampagne wird von dem Verein Salidarnast und dem Belarussischen Kongress demokratischer Gewerkschaften (BKDP) organisiert, die Gewerkschaftsaktivist*innen unterstützen. Die Kampagne findet aus Anlass des 19. April statt, des Jahrestags der Pogrome gegen Gewerkschaften, die das Lukaschenka-Regime 2022 veranstaltet hatte.



Zu den Gewerkschafter*innen, für deren Freilassung Salidarnast e.V., der BKDP und die internationale Gewerkschaftsbewegung kämpfen, gehört auch Aljaksandr Jaraschuk.


„Aljaksandr Jaraschuk hat eine interessante Biografie“, sagt Sjarhej Antussewitsch. „Er war schon zu Sowjetzeiten eine Führungskraft: Bei seinem letzten Posten im Staatsapparat war er Erster stellvertretender Vorsitzender des Exekutivkomitees des Minsker Gebiets.


Ich erinnere mich an ihn in jener Zeit und danach, als er schon Meinungsverschiedenheiten mit jener Person hatte, die wir alle kennen. Danach wurde er in der Gewerkschaftsbewegung aktiv und sagte mir mehrmals, dass das Schicksal ihm ein großes Geschenk bereitet habe: Er konnte sich in einer unabhängigen Gewerkschaft verwirklichen, die die Rechte und Interessen der Menschen wirklich verteidigte, und in der man nicht heucheln musste.


Ein*e Kolleg*in, der/die anonym bleiben möchte, meint: „Aljaksandr Jaraschuk ist ein belarussischer Patriot, und er ist überzeugt, dass er an der Stelle, an der er sich befand, seinen Beitrag für die Entwicklung des Landes als demokratischer Staat leisten kann, und sei es vorerst nur perspektivisch. Das ist seine Überzeugung, seine Haltung, an der auch in den finstersten Zeiten festhielt. Ich hoffe, dass er die auch jetzt noch hat, wo er hinter Gittern sitzt.“


Viktoria Leontjewa


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