Der Einsatz für eine Gewerkschaft ist keine Selbstverständlichkeit und mancherorts gefährliches Terrain. Was es für Folgen haben kann, sich in Diktaturen wie Myanmar oder Belarus für Arbeiter:innenrechte einzusetzen, berichten zwei Frauen, die deswegen fliehen mussten.
Khaing Zar Aung streckte an jenem Abend im Juni, als sie in Oslo mit dem internationalen Arthur-Svennson-Preis für Gewerkschaftsrechte ausgezeichnet wurde, drei Finger in die Höhe. Es ist das Zeichen des Widerstands gegen das Militärregime Myanmars. „Wir kämpfen nicht nur für unsere Rechte und Freiheiten, sondern für das Wesen der Demokratie“, sagte die Gewerkschaftsführerin. Khaing Zar Aung ist eine Schlüsselfigur des Gewerkschaftsbundes „Confederation of Trade Unions of Myanmar“ (CTUM) sowie der „Industrial Workers’ Federation of Myanmar“ (IWFM).
Khaing Zar Aung: Gegen die Militärjunta in Myanmar
Im Februar 2021 putschte sich das Militär in Myanmar an die Macht und stürzte die damalige Regierung. Die Gewerkschaften waren von Beginn an Teil der Widerstandsbewegung. „Wir protestierten und trugen dazu bei, dass Hunderttausende auf die Straße gingen und sich uns anschlossen“, erzählt Khaing Zar Aung. Seither befindet sich das Land im Bürgerkrieg. Laut UNO wurden mehr als drei Millionen Menschen innerhalb Myanmars vertrieben. Die Militärjunta verhaftete, folterte, tötete bis heute Tausende Menschen und erließ Haftbefehle gegen führende Gewerkschaftsmitglieder wie Khaing Zar Aung.
Seither lebt die 40-Jährige in Deutschland und macht auf die Lage der Menschen in Myanmar aufmerksam. Besonders auf die der Arbeiter:innen in den Textilfabriken, in denen sie selbst als junge Frau arbeiten musste. „Die Menschen verdienen rund 1,50 US-Dollar pro Tag und arbeiten dafür bis zu 16 Stunden“, erzählt sie. Die Gewerkschaften sind in Myanmar seit dem Militärcoup 2021 generell verboten. Durch sie erkämpfte Standards wie ein freier Tag pro Woche oder bezahlte Urlaubstage gehören der Vergangenheit an.
Unternehmen profitieren Situation in Myanmar
Einige europäische Modemarken produzieren ihre Kleidung noch immer in Myanmar und profitieren von den desaströsen Arbeitsbedingungen. Khaing Zar Aung appelliert an internationale Unternehmen, sich von dort zurückzuziehen. Sie fordert die Europäische Union auf, alle Handelsvorteile für Myanmar zu streichen. Sie entspringen dem sogenannten „Alles außer Waffen (EBA)“-Abkommen. Es sichert dem Land seit 2001 einen zollfreien EU-Zugang zu fast allen Produkten außer Waffen und Munition.
Khaing Zar Aung sammelt mit ihrem Team Beweise für Arbeitsrechtsverstöße wie unterlassene Lohnzahlungen. Im vergangenen Jahr setzte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) eine Untersuchungskommission ein, um Zwangsarbeit und die Verletzung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Myanmar zu untersuchen. Ihr Bericht bestätigte, dass die Militärbehörden ihre Verpflichtungen aus den entsprechenden ILO-Übereinkommen verletzt hatten. Khaing Zar Aung hofft auf deutliche Schritte der Staatengemeinschaft.
Lizaveta Merliak: Für unabhängige Gewerkschaften in Belarus
Mehr Druck aus dem Ausland erhofft sich auch Lizaveta Merliak. Seit über zwölf Jahren arbeitet die 45-Jährige für die unabhängige Gewerkschaft der Bergbau- und Chemiearbeiter:innen in Belarus. In dem Land gab es zwei Gewerkschaftsbünde: die „Federation of Trade Unions of Belarus“, die als regierungsnah gilt, sowie den „Belarusian Congress of Democratic Trade Unions“, zu dem auch Merliaks Gewerkschaft zählt.
Bei der Präsidentschaftswahl 2020 wurde der amtierende Machthaber Alexander Lukaschenko im Amt bestätigt. Unabhängige Wahlbeobachter:innen sprachen allerdings von einer manipulierten „Scheinwahl“, unter anderem, weil Oppositionskandidat:innen ausgeschlossen waren. Bei den danach aufkommenden Massendemonstrationen riefen auch die unabhängigen Gewerkschaften zum Protest auf. Dieser wurde jedoch brutal niedergeschlagen, zahlreiche Menschen wurden verhaftet und gefoltert.
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"Wir werden eine neue demokratische Gesellschaft in Belarus aufbauen, die auf den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit und menschenwürdiger Arbeit beruht".
Lizaveta Merliak, Gewerkschafterin aus Belarus
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Viele Unterdrückungsmechanismen
„Viele Arbeiter:innen schlossen sich zu dieser Zeit unserem unabhängigen Gewerkschaftsbündnis an“, erzählt Lizaveta Merliak. Doch der Gegenschlag der Regierung und der regierungsnahen Gewerkschaft kam schnell. „Sie drohten den Arbeiter:innen damit, dass sie ihre Jobs verlieren würden. Sie dürften nicht streiken, weil sonst noch ihre Enkelkinder den wirtschaftlichen Schaden persönlich abbezahlen müssten.“
Als sich der unabhängige Gewerkschaftsbund im Frühjahr 2022 auch noch öffentlich gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aussprach, war für die Regierung endgültig Schluss. Gewerkschaftsführer:innen und Aktivist:innen wurden festgenommen. „Der belarussische Geheimdienst KGB begann, die Gewerkschaftsleute nacheinander zu befragen“, berichtet Merliak. Sie wusste, dass sie auch bald an der Reihe sein würde, und so schnappte sie ihre damals einjährige Tochter und ihren fünfjährigen Sohn und ging nach Deutschland. Im Juli 2022 wurden die unabhängigen Gewerkschaften verboten, nachdem ein Gerichtsurteil sie als extremistische Organisationen klassifiziert hatte.
Sanktionen nicht ausgeschlossen
Seither versuchen Lizaveta Merliak und sechs ihrer Kolleg:innen, mit der Exil-Organisation „Salidarnast“ die in Belarus verbliebenen Gewerkschafter:innen zu unterstützen. Von der ILO wurden bereits in der Vergangenheit Empfehlungen an die belarussische Regierung ausgesprochen, unter anderem, den Arbeiter:innen Versammlungsfreiheit zu gewähren. Im Vorjahr leitete die Organisation eine Untersuchung wegen der anhaltenden Missachtung von Arbeitnehmer:innenrechten und der Verhaftung zahlloser Gewerkschafter:innen ein. Diese bestätigte die Verletzung der Rechte.
Die möglichen Schritte der ILO-Mitgliedsstaaten können nun von wirtschaftlichen Sanktionen bis zur Unterstützung der Verfolgten reichen. „Wir kämpfen seit einem Jahr intensiv darum, dass die internationale Gemeinschaft das belarussische Regime dazu bewegt, die politischen Gefangenen aus der Haft zu entlassen“, sagt Merliak. Einige ihrer ehemaligen Kolleg:innen, die zu niedrigen Strafen verurteilt worden waren, seien in der Zwischenzeit freigekommen, aber viele würden noch immer in Haft sitzen.
Diktaturen fallen
Wenn der Ausweg weit weg scheint, denkt Lizaveta Merliak an Dan Gallin, den ehemaligen Generalsekretär der Internationalen Union der Lebensmittel- und Genussmittelarbeiter, und sein Motto. Er sei immer überzeugt gewesen, dass die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung zeige, dass alle Diktaturen irgendwann fallen – egal, wie schrecklich sie aussehen mögen. „Auch unsere Diktatur wird eines Tages fallen“, sagt Merliak. „Wir werden eine neue demokratische Gesellschaft in Belarus aufbauen, die auf den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit und menschenwürdiger Arbeit beruht.“ Und während nun im September die Österreicher:innen die Möglichkeit haben, bei freien Wahlen ihre Stimme abzugeben, kämpfen Gewerkschafter:innen wie Khaing Zar Aung und Lizaveta Merliak weiter beharrlich für die Menschen und die Demokratie in ihren Ländern – nun aus dem Exil.
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